Brighte Öffentlichkeit
Viel zu oft heißt es in Rezensionen wissenschaftlicher Neuerscheinungen, das Buch sei sowohl für das Fachpublikum als auch für “die breite Öffentlichkeit” empfehlenswert. Oder eben nicht: “Die breite Öffentlichkeit wird mit dieser sehr akribischen Untersuchung wenig anfangen können”. Wer ist aber diese breite Öffentlichkeit, gibt es auch eine schmale, schlanke, dünne, gar eine magersüchtige Öffentlichkeit? Und warum muss sich diese breite (fette, übergewichtige) Öffentlichkeit immer für alles und jeden interessieren, das banal genug ist, für alle und jeden interessant zu sein?
Ein übermäßig populärer volksdeutscher Statistiker und Immigrationsgegner erklärte kürzlich in der BBC: “The brightest people get the fewest children”. Seine zweifelhafte Aussprache ließ nicht nur Zweifel an seiner eigenen brightheight zu, sie ließ auch spontan “breit” verstehen. Ze breitest piepel get ze fiuest tschiltren. Damit könnte er sich sofort bei der Deutschen Bahn bewerben. Vermutlich gehörten diejenigen Briten, die eine Stunde lang “World have your say” im Radio hören, bislang nicht zu den vorurteilsreichsten gegenüber Deutschland. Mister Sarrazin dürfte, in Wort und Aussprache, einigen Stoff gelieferten haben, diesen unverdienten Zustand zu korrigieren.
Nun bekommen ja die deutschen Akademikerinnen (und erst die Akademiker!) bekanntlich zu wenige Kinder. Und die internationale Sprache der Wissenschaft ist ja bekanntlich schlechtes Englisch (was man wohl nicht allein den zahlreichen Forschungsreisen mit der Deutschen Bahn anlasten kann). Willkommen in der Wissenschaft, willkommen in der brighten Öffentlichkeit. Sind wir also alle ein bisschen Sarrazin? Dann doch lieber auswandern! Wir brauchen eine neue Lesart des Sarrazin-Buches: Ein Pamphlet für die Auswanderung aus Deutschland!
Indes, um es bright und breitenfeindlich zu formulieren: Eine Klärung, ob dies sui generis eine valide These ist, deren Rezeption von der breiten Öffentlichkeit affirmativ zu nennen sein wird, bleibt einstweilen ein Desiderat.
Vielleicht ist es viel einfacher: Wenn die Öffentlichkeit “breit” ist, also entweder besoffen oder bekifft, kann sie das veröffentlichte Werk trotzdem verstehen. Ob das wiederum für oder doch eher gegen das Werk spricht, sei dahingestellt.